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Die Person (Persönlichkeit) des Menschen ist seine Seele (psychë). Das Fachgebiet, in dem das Tun der Seele hinterfragt wird, ist die Ethik. «Ethik» ist abgeleitet vom griechischen Verb εθίζω (ethizo, Partizip έθικος – ethikos), was «gewöhnen», «pflegen» bedeutet. Ethik ist Pflege der Seele, Pflege der Persönlichkeit.
Das Haus · Einblick und Ausblick
Über das, was wir nicht sehen können, stellen wir uns etwas vor, wir machen uns ein Bild davon. Die Seele hat gleichsam, im Bild gesprochen, verschiedene Schichten des Bewusstseins, Stockwerke, und mehrere Kammern, Räume. Die Seele gleicht einem Haus. Bei einem Haus gibt es innen und aussen; wir blicken hinein und blicken hinaus. Wir leben in einer eigenen Innenwelt und zugleich in der Aussenwelt, die allen Menschen gemeinsam ist. Im Haus haben wir das Erleben, das sich fortwährend neu bildet, neue Zusammensetzung zeitigt, sich neu ereignet, im Vergleich mit dem bisher Erfahrenen. Auch das Erwarten im Hinblick auf die Zukunft lebt und erlebt sich im Haus.
Wenn die Seele im Gleichgewicht ist, wenn die Räume im Haus aufgeräumt und in einem ordentlichen Zustand sind, ist der Mensch «Herr in seinem eigenen Haus». Wenn er es nicht mehr ist, dann ist die Seele krank, sie lebt in einer Störung (desorder). Ist die Seele gesund, ist der Mensch frei und kann mit Wille und Verstand seine Entscheidungen vorbereiten und treffen. Das Denken ist das Tun der Seele und so auch die Vorbereitung für das Handeln in der Aussenwelt.
«Haus» heisst im Griechischen οίκος (oikos). Alles, was sich in einem mehr oder weniger geordneten Dasein in der Seele befindet und lebt, ist ihre Zusammensetzung, ihre Konstellation. Die innere Situation ist veränderlich. Durch das Denken verändert sich die Zusammensetzung, das System fortwährend – das griechische σύστημα (systëma) bedeutet «Gebilde», «Zusammensetzung», «Zusammenstellung». Wenn sich die Seele in einem Gleichgewicht befindet, können wir darum sinnvoll von einem «Öko-System» sprechen. Ein Luzerner Psychologe spricht von einem «Ökosystemischen Menschenbild», wohl inspiriert durch die Terminologie der Biologie. Eine philosophische Analyse kann dieser Begriffsneuschöpfung durchaus einen wertvollen Sinn abgewinnen. Eine Gruppierung von Menschen, deren Zusammenleben (Symbiose – συμβίωσις) untereinander und mit der Umwelt sich je in sinnvollen, wohlgeordneten Strukturen ereignet, kann ein solches «System» sein. Hier soll jedoch der Begriff als Metapher auf das «aufgeräumte Haus» hindeuten, auf die Seele im Gleichgewicht; der Begriff ist eine Leitidee für die Seelsorge, für den Dienst an der Seele, griechisch ψυχoθεραπεία (psychotherapeia), für die Psychotherapie. Ethik ist, wie gesagt, Pflege der Seele, Therapie der Seele.
Wenn im inneren Haus des Menschen Angst (phobia) oder Zwang (mania) die Diktatur ergriffen hat, ist der Mensch nicht mehr Herr im eigenen Haus, nicht mehr Herr seiner Gedanken und Emotionen. Er ist in seiner Freiheit eingeschränkt und kann nicht mehr von sich aus sein Handeln in der Welt selbst bestimmend vorbereiten. Die Wege im Haus sind mit Hindernissen verbaut, verstellt.
Vision ist Imagination
Carl Gustav Jung gilt als derjenige Psychologe, der die Imagination in die Psychotherapie einführte. Was hatte ihn dazu inspiriert? In Wirklichkeit ist die Imagination schon uralt. Durch Meditation werden in vielen Religionen im Innern Bilder hervorgerufen. Manchmal kommt es dabei auch zu spontanen Visionen. Dieser Meditation entspricht im Griechischen die «eidetikë technë» – είδος (eidos) bedeutet «Bild», die «äussere Erscheinung» – was die Begabung einiger Menschen beschreibt, in der Seele Bilder aufsteigen zu lassen. Die Fähigkeit der Imagination war also bereits ein Thema in der antiken griechischen Philosophie –, die Psychologie war ohnehin bis ins 19. Jahrhundert Bestandteil der Philosophie. In der katathym imaginativen Therapie sollen das Aufsteigen von Bildern, das sich «lebhafte» Vorstellen und die Bilderreisen befreiende und wohltuende Wirkungen hervorrufen.
Wenn ein Mensch nicht das tun darf, was er kann und wozu er berufen ist, wird er krank. Wenn er nicht in seinem Verhalten widersprüchlich entgleist, so wird er durch das permanente Erleben von Frustrationen doch schwermütig (depressiv). Bruder Klaus hatte von Anfang an die Begabungen eines Mystikers. Das besondere Tun des Mystikers ist die Imagination. Für C. G. Jung ist der Eremit im Ranft der Prototyp des Mystikers (Ges. Werke, 11, §487). Ohne künstlich angeeignete Meditationstechnik hatte er die Fähigkeit zur Imagination. Bruder Klaus hatte sehr schöne Visionen.
Bei der Imagination können wir uns in der Seele Bilder vorstellen von Gegenständen (Objekten) oder sogar von ganzen Landschaften. Auch Menschen können wir uns so «einbilden», was allerdings mit Gefahren verbunden sein kann, wenn der imaginative Mensch noch lebt und wenn sein Bild in der Seele nicht mehr so ganz mit der Person in der äusseren Wirklichkeit übereinstimmt, sondern ihm entfremdet ist. Es kann dann zu einer übermächtigen Angst kommen, einer widersprüchlichen Phobie, wo alles unternommen wird, nur um diesem Menschen in der Aussenwelt nicht begegnen zu müssen.
Bruder Klaus gelangt auf einen anderen Weg: Ein menschliches Wesen wird ihm nicht entfremdet sondern vertraut gemacht. Es sind Imaginationen des Gott-Mensch Jesus in seinem Leiden und Sterben am Kreuz, aber auch in seiner himmlischen Existenz, die in ihm befreiende, wohltuende und heilende Energien entfacht. Mit Jesus und durch ihn gelangt er auf den Weg der Visionen. Bruder Klaus ist hier ein herausragendes Vorbild. Einmal erlebte er imaginativ das Wesen Gottes als überfliessenden Brunnen (Brunnenvision, überliefert von Caspar Ambühl). Summa summarum können auch zu recht die Behauptung aufstellen: Ohne die Praxis der Imagination hätte Bruder Klaus in der Geschichte kaum eine Bedeutung. Der Weg der Imagination machte ihn zu einem ausgeglichenen Menschen und zu einem beliebten Ratgeber für Andere.
Oft stehen Menschen mitten in ihrem Innern an einem Abgrund, aus dem quälende Ängste aufsteigen, die das Leben der Seele stören und lähmen. Fehlen da die heilenden Bilder? Durch Imagination können wir Mitten im Herzen auch die Kraft des Himmels finden, welche die Seele aufsteigen lässt, sie emporhebt zum friedvollen und glücklichen Leben. Das kann Bruder Klaus uns zeigen.
In der Spiritualität sollen also die Aktivitäten helfen und heilsam wirken, aber niemals psychische Störungen verursachen. Drauf muss geachtet werden. Zum Beispiel kann der Glaube an die Seelenwanderung in Form der Reinkarnation zu Identitätsproblemen führen, gefolgt von schizoiden oder gar schizophrenen Störungen.
Imaginationen sollen normalerweise nicht dazu dienen, von der realen Welt abzuheben und sich ihr zu entfremden, vielmehr sollen sie eine Hilfe sein, den je aktuellen Sinn zu finden, der ethisch den Weg in dieser Welt zeigt, so wie der Einzelne in ihr eingebettet ist. Ein gutes Beispiel finden wir in den Legenden um Buddha zur massvollen Askese: Er sah das Bild eines Musikers, der auf einer Leier spielte. Wenn nun eine Saite des Instruments zu wenig gespannt ist, gibt sie keinen rechten Ton von sich, ist sie jedoch überspannt, dann reisst sie. Nützliche Imaginationen haben also einen realen Bezug und lassen in den Meditierenden und Träumenden den Sinn im Hier und Jetzt aufscheinen. Bei Bruder Klaus verhält es sich nicht anders. Durch Bildzeichen erkennt er wichtige Signale für sein Handeln. Sie sind in erster Linie persönlich. Teilweise sind seine Imaginationen auch allgemein nachvollziehbar; so kommt besonders der «Brunnenvision» ein universaler ethischer Wert zu.
Jede Religion wäre tot und nichtexistent ohne Imagination. «religio» bedeutet bekanntlich «Rückbindung» – eine religio ist eine relatio (Beziehung) der höheren Art. Wie wäre denn anders eine lebendige, interaktive Beziehung zum abwesend Gegenwärtigen möglich? Religion ist Imagination. Das physisch abwesende, aber imaginativ gegenwärtige Gegenüber ist ein lebendiges Wesen, eine unveränderliche, unverwechselbare und unaustauschbare Person.
Katathyme Imagination – katathym oder anathym?
Allein oder in Kursen können wir von und mit Bruder Klaus durch innere Betrachtung (Meditation) lernen, seelische Spannungen verschiedener Art abzuschwächen. Das Vorwort κατά (kata) bedeutet »hinab», «herab», «herunter»; θυμός (thymos) bedeutet in diesem Zusammenhang «Gemüt» und negativ eben auch «Heftigkeit», «Glut», «Zorn» – das Adjektiv «thymikos» dementsprechend: «hitzig», «ungestüm». «katathym» heisst also demnach einfach: «entspannend», «besänftigend» – das «Herunterfahren des überhitzten Gemüts» usw. Bei lähmenden Seelenzuständen (Blockaden), die eigentlich auch hinderliche Spannungen sind, kann ebenso Hilfe erzielt werden. – Na ja, über Begriffe lässt sich manchmal streiten: Wenn das Gemüt ganz «unten» ist, wie gelähmt durch Depressionen, durch Frustrationen (zwei verschiedene Ereignisse) oder durch Ängste, dann müsste es wieder aufgerichtet, emporgehoben werden, dann hätten wir genau genommen eine «anathyme Imagination. – Wichtig ist einfach, zu wissen, dass Imagination durch Meditation heilende Kräfte freisetzen und neue Wege öffnen kann. – Neben der religiösen Imagination ist auch die rein naturalistische Imagination möglich.
Abbildung: Wohnhaus von Bruder Klaus und Dorothea Wyss im Flüeli
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Mehr über die Ethik von Bruder Klaus: Aktives inneres Mitleiden
Die Brunnenvision, überliefert von Caspar Ambühl
Ethik und der verborgene Sinn des «Rades» (Personmodell, Motivation usw.)
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